Verfasst von
Patrick Hux

Du musst einen neuen Blogpost schreiben, eine Landing Page designen oder ein Feature entwickeln.
Du öffnest das Tool deiner Wahl und starrst auf die leere Fläche. Deine Erwartungen sind hoch, denn es muss gut werden. Nein, perfekt!
Also recherchierst du noch ein bisschen mehr. Überlegst dir die perfekte Struktur. Formulierst den ersten Satz dreimal um, bevor du ihn überhaupt aufschreibst. Und nach zwei Stunden hast du... drei Absätze. Die sich irgendwie nicht richtig anfühlen.
Willkommen in der Perfektionismus-Falle!
Die Lösung? Der "Shitty First Draft", ein bewusst unvollkommener erster Entwurf. Die Idee stammt ursprünglich aus der Schreibwelt, aber dahinter steckt ein Prinzip, das weit über Content Creation hinausgeht: Iteratives Arbeiten.
Anstatt von Beginn an alles perfekt machen zu wollen, arbeitest du in Schleifen. Du erstellst eine erste Version, testest sie, holst Feedback, verbesserst sie und wiederholst den Prozess.
Was für einen Blogpost funktioniert, funktioniert auch für Software, Design, Marketing und vieles mehr.
Übrigens: Auch dieser Blogpost ist so entstanden. Die erste Version war unklar strukturiert und chaotisch - aber, sie existierte! Und genau darum geht es.
Statt ein Projekt von A bis Z durchzuplanen und dann linear abzuarbeiten (das berühmte Wasserfallmodell), teilst du die Arbeit in kleinere Häppchen auf.
Jedes Häppchen durchläuft denselben Prozess: Planen, umsetzen, testen, verbessern.
Ein Beispiel, wie man eine Marketing-Kampagne im Wasserfallmodell machen würde:
Im Gengenzug der iterative Ansatz: Du startest mit einem kleinen Test-Budget, misst die ersten Reaktionen, siehst was funktioniert und was nicht. Und du skalierst dann nur das, was wirklich performt.
Aber Achtung: Iterativ heisst nicht planlos. Es heisst nicht "einfach drauflos arbeiten und schauen, was passiert".
Lass uns die fünf Phasen direkt anhand Content, Design und Development anschauen.
Du klärst das "Warum" und "Was". Welches Problem löst du? Was ist das Ziel? Welche Rahmenbedingungen gibt es?
Das ist nicht die Phase, in der du alles bis ins Detail ausarbeitest. Es geht um den Rahmen, innerhalb dessen du dich bewegen kannst.
Praxisbeispiel Content:
Du weisst: Du brauchst einen Blogpost über iteratives Arbeiten. Zielgruppe? Designer, Entwickler, Content Creator. Ziel? Leser sollen verstehen, wie sie den Ansatz in ihrer Arbeit nutzen können. Länge? Ca. 1500 Wörter. Deadline? In zwei Wochen.
Praxisbeispiel Design:
Du sollst eine Landing Page für ein SaaS-Produkt gestalten. Ziel? Newsletter-Signups steigern. Zielgruppe? B2B Tech-Startups. Brand Guidelines? Vorhanden. Inspiration? Gesammelt.
Praxisbeispiel Development:
Du sollst ein neues Feature für eine App bauen: Einen Dark Mode. Anforderungen? Toggle in Settings, persistente Speicherung, alle Screens müssen funktionieren. Framework? React Native. Timeline? Zwei Sprints.
Der Shitty First Draft Moment:
Du machst keine perfekte PRD (Product Requirement Document) sondern schreibst die wichtigsten Punkte in ein Dokument.
Du machst die Idee greifbar. Wie sieht die Lösung aus? Welche Struktur brauchst du? Welche Komponenten?
Auch hier gilt: Es muss nicht perfekt sein. Es muss gut genug sein, um mit der Umsetzung zu starten.
Praxisbeispiel Content:
Du erstellst ein grobes Outline mit Hauptüberschriften und einer groben Struktur.
Outline:
- Einleitung: Problem mit Perfektionismus
- Was ist iteratives Arbeiten?
- Die 5 Phasen (mit Beispielen)
- Vorteile
- Anwendungsbereiche
- Fazit + CTA
Praxisbeispiel Design:
Du skizzierst grobe Wireframes von Hand oder in Figma. Dabei verzichtest du auf Farben oder Texte, es geht nur um die Struktur.
Praxisbeispiel Development:
Du zeichnest die Architektur auf. Welche Components brauchst du? Wo speicherst du den State? Wie wird das Theme gewechselt?
Der Shitty First Draft Moment:
Dein Design ist nicht schön, deine Wireframes sind kritzelig und deine Architektur hat vielleicht Lücken. Aber du hast den Grundstein für deine Arbeit gelegt.
Du setzt um, schreibst, designst oder programmierst ohne den inneren Kritiker einzuschalten.
Hier passiert die Magie des Shitty First Draft. Du produzierst Output schnell, ungeschliffen und mit dem klaren Wissen, dass du es später überarbeitest.
Praxisbeispiel Content:
Du schreibst den Blogpost einfach runter, ohne Perfektion anzustreben. Lass holprige Sätze und unrunde Übergänge erstmal stehen.
Praxisbeispiel Design:
Du entwickelst das High-Fidelity Design, inklusive Farben, Typografie und Spacing. So erstellst du eine Version, mit der du Feedback einholen kannst.
Praxisbeispiel Development:
Du entwickelst den Code schnell und pragmatisch. Hardcoded Werte sind zunächst akzeptabel, und Tests können später hinzugefügt werden. Copy-Paste-Code ist vorerst kein Problem, solange das Feature im Wesentlichen funktioniert.
Der Shitty First Draft Moment:
Du hast eine erste Version fertiggestellt. Sie ist vielleicht nicht perfekt, aber sie ist da, und das ist das Wichtigste.
Hole dir Feedback von dir selbst, anderen und echten Nutzern. Teste, ob deine Lösung funktioniert.
Praxisbeispiel Content:
Du lässt den Blogpost einen Tag liegen und liest ihn mit frischen Augen nochmals. Dabei merkst du vielleicht, dass sich Inhalte wiederholen oder zu abstrakt sind. Markiere dir das, damit du es in einer nächsten Iteration überarbeiten kannst.
Praxisbeispiel Design:
Präsentier dein Design im Team. Du bekommst Feedback, dass der Call-to-Action (CTA) nicht genug hervorsticht, die Typografie-Hierarchie unklar ist und die Farbkontraste zu schwach sind. Das fasst du alles in einem Figma-Kommentar zusammen.
Praxisbeispiel Development:
Du testest das Feature selbst und lässt andere Entwickler einen Code Review durchführen. Anschliessend gibst du es möglicherweise an ein paar Beta-Tester. Das Feedback zeigt, dass sich der Toggle laggy anfühlt, in einem Screen noch der Dark Mode fehlt und der Kontrast von Text auf dunklem Hintergrund schlecht lesbar ist.
Der Shitty First Draft Moment:
Du verteidigst deine Arbeit nicht, sondern nimmst das Feedback an, weil du weisst, dass es sich um Version 0.1 und nicht um die finale Version handelt.
Nun wertest du das Feedback aus und entscheidest, was du änderst. Dann gehst du zurück in Phase 3 (Implementierung) und beginnst den Zyklus von vorn.
Praxisbeispiel Content:
Du überarbeitest den Blogpost, indem du die Einleitung kürzt, eine Wiederholung entfernst und die Beispiele konkreter gestaltest. Anschliessend lässt du ihn noch einmal gegenlesen und nimmst weitere Anpassungen vor, bis er sich gut anfühlt.
Praxisbeispiel Design:
Du machst den CTA prominenter, verbesserst die Hierarchie und testest verschiedene Farbkombinationen für bessere Kontraste mit anschliessendem Feedback vom Team.
Praxisbeispiel Development:
Du optimierst die Performance des Toggles und ergänzt den fehlenden Screen. Du schreibst Tests. Du refactorst den Code. Code Review. Merge. Deployed auf Staging. Weitere Tests. Anpassungen. Nächste Iteration.
Der Shitty First Draft Moment:
Mit jeder Runde verbessert sich die Arbeit. Der Start ist jedoch nie optimal; man beginnt bei 30% und arbeitet sich schrittweise nach oben.
Jetzt weisst du, wie der Prozess aussieht. Aber warum solltest du so arbeiten, was bringt es dir konkret?
Anforderungen ändern sich ständig und Prioritäten verschieben sich. Wenn du monatelang an etwas arbeitest, ohne es zu testen, ist es möglicherweise bei der Veröffentlichung bereits wieder veraltet.
Iteratives Arbeiten macht dich anpassungsfähig. Du reagierst auf neue Informationen, noch während du noch am Arbeiten bist.
Grosse Projekte sind riskant. Je länger du arbeitest, ohne zu testen, desto grösser das Risiko, dass du in die falsche Richtung läufst.
Iteratives Arbeiten minimiert dieses Risiko. Du testest früh und oft. Probleme tauchen auf, wenn sie noch klein sind und nicht, wenn das ganze Projekt davon abhängt.
Perfektionismus tötet Kreativität. Wenn du von Anfang an alles richtig machen musst, traust du dich nicht zu experimentieren.
Iteratives Arbeiten schafft einen Safe Space für Experimente. Du weisst: Das hier ist Version 0.1. Ich kann ausprobieren, scheitern und es in der nächsten Runde ändern.
Diese Freiheit zu experimentieren führt zu besseren, innovativeren Lösungen.
Egal wie sorgfältig du planst, die Wirksamkeit einer Idee lässt sich erst durch reale Tests beweisen.
Iteratives Arbeiten ermöglicht es dir, echtes Feedback von echten Menschen zu erhalten, anstatt dich auf Vermutungen und Annahmen zu verlassen.
Je später eine Änderung kommt, desto teurer wird sie. Ein Fehler in der Planung ist schnell behoben, ein Fehler nach dem grossen Launch hingegen teuer.
Iteratives Arbeiten spart Geld und Zeit. Du findest Probleme früh und verschwendest keine Ressourcen für Dinge, die nicht funktionieren.
Manche Bereiche sind perfekt für schnelle, günstige Iterationen. Andere Bereiche haben längere, teurere Zyklen.
Für Blogpost, Newsletter, Social Media Content oder Video-Skript ist der Shitty First Draft dein bester Freund.
So sieht es aus:
Iterationen sind kostengünstig und zeitlich effizient. Das Ergebnis ist deutlich besser, als wenn man versucht, sofort die perfekte Version zu schreiben.
Iteratives Arbeiten ist in der Softwareentwicklung längst Standard. Agile, Scrum und Kanban basieren auf diesem Prinzip.
So sieht es aus:
Code lässt sich schnell ändern und Tests zeigen sofort, ob etwas kaputt ist. Feedback kommt direkt über Analytics oder Beta-Tests.
Auch im Design ist der iterative Prozess extrem wertvoll.
So sieht es aus:
Tools wie Figma machen Iterationen kostengünstig und schnell. Du kannst Varianten testen, A/B-Tests fahren und Feedback direkt im Design einarbeiten.
Physische Produkte sind schwieriger zu iterieren als Software, funktionieren aber trotzdem.
So sieht es aus:
Die Iterationen sind langsamer und teurer als bei Software. Aber das Prinzip bleibt: Testen, lernen, anpassen.
Im digitalen Marketing sind Iterationen schnell und messbar.
So sieht es aus:
A/B-Tests, Multivariate Tests und kontinuierliche Optimierung sind alles iterative Prozesse.
Hier wird es schwieriger. Ein Haus kannst du nicht einfach "schnell iterieren". Die Kosten für Änderungen sind hoch. Die Zyklen sind lang.
Aber auch hier gibt es iterative Elemente:
Die Iterationen sind langsamer und teurer. Aber das Prinzip von "testen, lernen, anpassen" funktioniert trotzdem, nur nicht so schnell wie bei Software.
Erinnere dich an den Anfang: Die leere Fläche und der Druck, sofort etwas Gutes zu liefern.
Jetzt weisst du, das ist der falsche Ansatz.
Der Shitty First Draft ist intelligentes Arbeiten und der erste Schritt in einem Prozess, der zu besseren Ergebnissen. Du startest schnell, holst echtes Feedback ein und wirst kontinuierlich besser.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
Genug Theorie. Jetzt bist du dran:
Ein letzter Gedanke:
Dieser Blogpost, den du gerade liest hat auch als Shitty First Draft gestartet.
Die erste Version hatte eine andere Struktur, die Beispiele waren abstrakt und die Übergänge holprig. Er wurde mehrfach überarbeitet, Feedback eingeholt und angepasst.
Am Ende zählt nicht, wie gut dein erster Entwurf war, sondern wie gut dein finales Ergebnis ist.
Also: Hör auf zu warten, bis du die perfekte Idee hast. Fang an. Mach es schlecht. Und dann mach es besser.
Viel Erfolg!